Der 1. Juli 2021 war ein gewichtiger Tag in der Geschichte der Marienkirche. Viele Menschen versammelten sich: Der Singkreis Ziegenhainer Tal, der das Richtfest mit Gesängen festlich begleitete, Mitglieder des Posaunenchores, Keyboarder Ekkehard Schütz und Trompeter Johannes Werner aus dem Lutherhaus, Bauleute, der Superintendent Sebastian Neuß und der Vorsitzende des Jenaer Gemeindekirchenrates Dr. Georg Elsner, Vorstandsmitglieder des Jenaer Kirchbauvereins, Spenderinnen und Spender aus Jena und Ziegenhain u.a. Danke an alle: Ein vergelt's Gott, segne es Gott!
Kirchbauvorstandsmitglied Elisabeth Wackernagel hatte im Advent 2019 das Johannes Selle (MdB) nach Ziegenhain gelockt. Ihm ist es zu verdanken, dass aus Berlin finanzielle Mittel des parlamentarischen Sonderfördertopfes für Denkmalpflege nach Ziegenhain flossen. Johannes Selle und dem Thüringer Landeskonservator, Holger Reinhardt, galt der besondere Dank beim Richtfest für die Bereitstellung des Mammutanteiles an den Gesamtkosten von insgesamt 290.000€. Am von der Kirchengemeinde aufzubringenden Eigenanteil hat sich der Jenaer Kirchenbauverein beteiligt.
Unser Pfarrer Christoph Rymatzki betonte in seiner Andacht, dass es nicht um ein Denkmal, sondern um ein Gotteshaus und eine Begegnungsstätte von Menschen geht! Er führte aus:
Es gibt eine geheimnisvolle Verbindung zwischen der Errichtung und Erhaltung einer Kirche einerseits und der Nutzung derselben andererseits. Geheimnisvoll, weil die Beziehung nicht immer geradlinig ist. Das wusste schon der Bauherr des ersten jüdischen Tempels. Dieses Heiligtum diente als Zielort von Wallfahrten für das ganze jüdische Königreich. Und so dichtete König Salomo in einem Wallfahrtslied (Psalm 127, 1): "Wenn der HERR nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen." Man kann also äußerlich bauen und Tempel und Kirchen errichten, aber es ist trotzdem umsonst, wenn nicht in einer geheimnisvollen Beziehung zum äußeren Bau parallel auch ein innerer Bau entsteht, der zur Erbauung der Menschen dient und zum Aufbau der Gemeinde. Ein innerer Bau, bei dem Gott der Architekt und Bauherr zugleich ist. Da gibt es einerseits äußerlich gesehen Ruinen, aber imposant wie die Stiftsruine Bad Hersfeld, die als Austragungsort für ganze Festspiele dient, wohin die Menschen strömen. Und da gibt es andererseits wunderbar restaurierte Dorfkirchen, die aber das ganze Jahr verschlossen bleiben, weil sie keiner nutzt. Da gibt es wundertätige Marienbilder, für die im Mittelalter auf dem Acker eine Wallfahrtskapelle gebaut wurde, wie in Etzelsbach im Eichsfeld, die heute noch mutterseelenallein auf dem Feld steht, aber wo regelmäßig Pilgerzüge hinwandern. Vor 10 Jahren war ich selbst Teil eines solchen bestehend aus 90.000 Wallfahrern, die mit dem Papst eine lateinische Messe feierten.
Auch in Ziegenhain hatten Päpste sich engagiert und Ablässe ausgeschrieben, um aus einer kleinen Wallfahrtskapelle eine dreischiffige gotische Kathedrale im Tal bei Jena zu den Füßen mittelalterlicher Burgen zu errichten. Der wettinische Bruderkrieg und später die Reformation führten dazu, dass diejenigen umsonst gearbeitet hatten, die daran bauten. Die geheimnisvolle Beziehung zwischen Bau und Erhaltung einerseits und Nutzung dieser Kirche anderseits begleitet uns bis heute und mahnt uns, dass nicht umsonst arbeiten, die daran bauen. Hinter jedem Bauprojekt steckt nicht nur ein Abenteuer, ob die Förderanträge auch bewilligt werden und sich ein Puzzleteil ans andere fügt, sondern dahinter steckt auch immer ein Abenteuer des Glaubens: Halten wir Menschen hier nur etwas am Leben, was nicht zusammenstürzen darf, oder ist mit den Baufirmen, die tatkräftig ans Werk gehen, auch parallel eine unsichtbare Hand am Werk, die etwas aufbaut, das Wert für die Ewigkeit besitzt? Während Gerhard Jahreis, die Gemeinde, die Ziegenhainer und die Kirchenbaubehörden sich ans Werk gemacht haben, den althergebrachten und bis heute modernen Feinden und Zerstörern der Kirche tatkräftig zu begegnen: dem Wind, der daher fegt und ans Kirchendach rüttelt, dem Regen, der durch undichte Ziegeln kontinuierlich eindringt und dem Schnee, der durch Ritzen und Fugen die Balken zum Faulen bringt, durften wir beobachten, wie die Kinder- und Jugendarbeit Fluchtpläne aus dem modernen Gemeindezentrum in Jena geschmiedet hat, um sich hier in der Ruine und dem Turmzimmer ein Quartiert zu errichten, von dem die Pfadfinderarbeit derr Kings Scouts aus in die Wälder aufbrechen, um Abenteuer im Glauben zu erleben.
In diesen Tagen ist dafür eine FSJ-Stelle für den Herbst geschaffen worden, wofür Gott auch einem jungen Menschen aufs Herz gelegt hat, seine weitere wissenschaftliche Qualifizierung zu unterbrechen, um die Pfadfinderarbeit in Ziegenhain aufzubauen. In den letzten Wochen und Monaten konnten wir somit dieser geheimnisvollen Beziehung zwischen menschlichen Baumaßnahmen und göttlichem Gemeindebau etwas auf die Spur kommen. Möge dieses Gotteshaus weitere solcher Beispiele erleben, wie wir sie auch schon erlebt haben, als vor 30 Jahren hier im Turmzimmer regelmäßig Jugendliche zusammenkamen und sich politisch engagierten und noch heute von dieser Zeit schwärmen. Oder wir denken an die Ziegenhainer Konzerte, die von Mai bis Dezember die Auslastungsgrenze der Kirche testen, wo der Singkreis Ziegenhainer Tal seine regelmäßigen Auftritte hat. Auch unser heutiges Bläserensemble trifft sich hier regelmäßig zu Proben in der Kirche. Neben den regelmäßigen Gottesdiensten mit treuer Besucherschar hat sich die Kirche aber auch als Geheimtipp zur Feier der Osternacht und des Martinsgottesdienstes entwickelt, wo ein festes Element jeweils das Zusammenkommen im Ruinenteil am Anfang oder Ende darstellt. Herr Reinhardt, Sie sprachen die Ruinen an. Da hatten wir im Vorfeld der Dachsanierung auch ein Erlebnis, das uns den Schatz der Ruine bewusstwerden ließ. Der Verein Ziegenhainer Tal e.V. hatte überlegt, wie er Spenden für die Dachsanierung sammeln kann und veranstaltete um den Johannestag 2019 einen Konzertabend hier im Ruinenteil, wo Ziegenhainer Familien für den guten Zweck musizierten und der Verein Speisen und Getränke verkaufte. An dem Abend wurden 1.004,-€ für das Dach gesammelt. Aber als am Abend ein irischer Musiker den Abschluss machte, der zum ersten Mal hier war, lobte er das wunderbare Ambiente an diesem lauen Sommerabend und sagte: "Wofür sammelt ihr hier? Für ein Dach? Das dürft ihr nicht machen, das muss so bleiben wie es ist, das ist einmalig hier, so wie es ist." Wir erklärten ihm, dass es nicht um ein neues Ruinendach, sondern um das Kirchendach ging, aber an dem Abend wurde uns neu bewusst, welches Kleinod wir her besitzen. Und dass es weiterhin unsere Aufgabe bleibt, nicht nur die Kirche zu erhalten, sondern sie so zu nutzen, wie es Hand in Hand geht dem Bau Gottes an seiner Gemeinde hier in Ziegenhain, die er selbst vorantreibt.
Alle Augen der Anwesenden gingen danach zum sorgfältig sanierten Dachstuhl, als der Zimmerermeister Udo Weltrich den Richtspruch verlas. Die Ehrengäste und verantwortlichen Bauleute durften mit dem Einschlagen von zwei Eichennägeln symbolisch die Arbeiten am Dachstuhl vollenden, den die beiden Zimmerleute Markus Trupp und Stefan Kluge in monatelanger Arbeit fachgerecht saniert hatte.
Der Landeskonservator fand sehr persönliche Worte für die Schönheit der Marienkirche und ihres Ruinenteils. Dieses Richtfest war ein erster Höhepunkt der Dachsanierung und fand mit einer Präsentation des umsichtigen Architekten Peter Tandler unter dem 600 Jahre alten Dachstuhl seinen Ausklang. Der ehrenamtliche Ziegenhainer Kirchmeister Hagedorn hatte inzwischen köstliche Thüringer Bratwürste vorbereitet und lud zur Stärkung ein.